Verwertbarkeit von Dashcam-Aufzeichnungen im Strafverfahren
Nach einem neuen Urteil des AG Nienburg (Urteil vom 20.01.2015, 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14)), besteht im Strafverfahren kein generelles Beweisverwertungsverbot für Dashcam-Aufzeichnungen. Ob eine Dashcam-Aufzeichnung im Strafverfahren verwertet werden darf, sei eine Frage des Einzelfalls.
In Abweichung zu den ersten verwaltungs- und zivilgerichtlichen Urteilen (LG Heilbronn [Blog], VG Ansbach [Blog], AG München [Blog]) die jeweils ein Beweisverwertungsverbot für Dashcam-Aufnahmen annahmen, kommt das AG Nienburg im streitgegenständlichen Strafverfahren zum Ergebnis der Verwertbarkeit der Dashcam-Aufnahmen. Den entscheidenden Unterschied zu den bisherigen Entscheidungen sieht das Gericht darin, dass die Aufzeichnung im konkreten Fall nicht anlasslos dauerhaft, sondern anlassbezogen erfolgte:
Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Zeugen an der Anfertigung der Aufzeichnung zum Zwecke der Beweissicherung und dem Interesse des Angeklagten an der Unverletzlichkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung überwiegt das Interesse des Zeugen (a.A. AG München, Beschluss vom 13.08.2014, 345 C 5551/14; VG Ansbach, Urteil vom 12.08.2014, AN 4 K 13.01634, – beide zitiert nach juris – ). Maßgeblich ist insoweit, dass die kurze, anlassbezogene Aufzeichnung nur die Fahrzeuge, aber nicht die Insassen der Fahrzeuge abbildet und nur Vorgänge erfasst, die sich im öffentlichen Straßenverkehr ereignen. Der Eingriff in das Recht des Angeklagten ist daher denkbar gering, während das Interesse des Zeugen an einem effektiven Rechtsschutz besonders hoch ist. Denn gerade die gerichtliche Aufklärung von Verkehrsunfallereignissen leidet fast ausnahmslos unter dem Mangel an verlässlichen, objektiven Beweismitteln. Zeugenaussagen sind vielfach ungenau und subjektiv geprägt, Sachverständigengutachten kostspielig und häufig unergiebig. Der anlassbezogene Einsatz der Dashcam ist deshalb in dieser konkreten Fallgestaltung für den vom Zeugen verfolgten Zweck der Beweissicherung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig.
Datenschutzrechtlich fragwürdig stützt das Gericht seine Entscheidung auf eine entsprechende Anwendung von § 28 BDSG und vertritt die Ansicht, dass die Spezialvorschrift § 6b BDSG, die explizit die Videoüberwachung regelt, nicht einschlägig sei. Dies begründet das Gericht nur oberflächlich mit der Aussage, “§ 6b BDSG ist nicht anwendbar, da die Norm nur für den ortfesten Betrieb einer Kamera gilt. Dieser Schluss ergibt sich bereits aus der Hinweispflicht des § 6b Abs. 2 BDSG. Denn beim Betrieb einer beweglichen Kamera ist es schlicht unmöglich, die betroffenen Personen auf die bevorstehende Aufzeichnung hinzuweisen.” Festzuhalten ist, dass die Hinweispflicht des Abs. 2 keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung darstellt, sodass die Begründung schon aus diesem Grund fehl geht. Viel entscheidender ist jedoch, dass weder dem Gesetzeswortlaut, noch den den Materialien zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber sich auf ortsfeste Videosysteme festlegen wollte. Zudem besteht kein qualitativer Unterschied zwischen einer fest installierten Kamera und mobilen Videoeinrichtungen, die auf Beobachtung ausgelegt sind. Diese sollten demnach nicht aus dem Anwendungsbereich des § 6b BDSG ausgenommen werden (vgl. Plath in Plath, BDSG, 1. Aufl. 2013, § 6b Rn. 12; Scholz in Simitis, BDSG, 8. Aufl. 2014, Brink in Wolff/Brink, Beck’scher Online-Kommentar Datenschutzrecht, 01.05.2013, § 6b Rn. 24). Diese Einschätzung steht auch im Einklang mit der Position der Aufsichtsbehörden zur Einordnung von Drohnen. Auch diese unterfallen, wenn in ihnen eine Kamera integriert ist, dem Anwendungsbereich des § 6b BDSG (vgl. LfD Rh-Pf.,TB 2012/2013, III Ziff. 2.3.4).
Es ist denkbar, auch bei Anwendung der korrekten Norm, § 6b BDSG, bei einer anlassbezogenen Aufzeichnung zum Ergebnis einer Verwertbarkeit der Aufzeichnung zu kommen. Die Hürden im Rahmen der Interessenabwägung des § 6b BDSG sind jedoch strenger als die bei der Interessenabwägung des § 28 BDSG, da § 6b nach der ratio legis enger auszulegen ist. Dennoch wird man zu dem Schluss gelangen können, dass eine Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen im Einzelfall zulässig sein kann, wenn die Aufzeichnung anlassbezogen erfolgt und die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen aufgrund der Schwere der strafrechtlich relevanten Verstöße das Recht des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurücktreten lassen.
Dann muss man sich in der Folge aber fragen, wie in der Praxis kontrolliert werden soll, ob eine Aufzeichnung anlasslos erfolgte oder nicht, und ob so die Rechtssicherheit gefördert werden kann. Ansonsten öffnet dieses Urteil Tür und Tor dafür, mit einer Dashcam sämtliche Vorgänge anlasslos aufzuzeichnen und im Falle eines verkehrs- oder strafrechtlich relevanten Verhaltens, den relevanten Teil als anlassbezogene Aufzeichnung als Beweismittel vorzulegen.