201526.11.

BGH: Provider können als ultima ratio zur Sperrung von Webseiten verpflichtet werden

Der Bundesgerichtshofs hat heute in zwei Verfahren über die Haftung von Telekommunikationsunternehmen (TK-Anbietern) für Urheberrechtsverletzungen Dritter entschieden, sog. Störerhaftung (BGH, Urteile vom 26. November 2015 – I ZR 3/14 und I ZR 174/14, Pressemitteilung).

Zugrunde lagen Verfahren der GEMA und Tonträgerherstellern gegen die Telekom und andere TK-Anbieter. Aufgrund der Tatsache, dass die TK-Anbieter als Access-Provider ihren Kunden den Zugang zu den Webseiten “3dl.am” und “goldesel.to” ermöglichen, auf bzw. über die das Herunterladen urheberrechtlich geschützter Musikwerke möglich ist, sollten sie nach Ansicht der Kläger auf Unterlassung in Anspruch genommen werden können. Konkret ging also darum, die TK-Anbieter zu verpflichtet, sämtlichen Kunden den Zugang zu den Webseiten “3dl.am” und “goldesel.to”zu sperren.

Der BGH hat daraufhin entschieden, dass TK-Anbieter grundsätzlich dazu verpflichtet werden können, den Zugriff auf Websites mit urheberrechtswidrigen Inhalten zu sperren. Voraussetzung einer Haftung ist jedoch, dass der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen unternommen habe, gegen den Täter selbst oder den genutzten Host-Provider vorzugehen. Eine Störerhaftung der TK-Anbieter kommt demnach nur subsidiär und als ultima ratio in Frage. In den streitgegeständlichen Fällen hatten die Kläger solche zumutbaren Anstrengungen nicht vorgenommen, sodass der BGH die Klagen abwies.

Welche hohen Anforderungen der BGH an das Erfordernis der “zumubaren Anstrengungen” stellt, zeigen die Entscheidung sehr deutlich. So erwirkte zwar einer der Kläger zunächst eine einstweilige Verfügung gegen die vorgenannten Webseiten, nahm diese jedoch zurück da sie im Ausland nicht zugestellt werden konnte. Nach Ansicht des BGH hätte sich der Kläger damit nicht zufriedengeben dürfen, sondern hätte weitere zumutbare Nachforschungen unternehmen müssen.

Im anderen Fall waren die Klägerinnen nicht gegen die Betreiber von “goldesel.to” vorgegangen, weil dem Vortrag der Klägerinnen zufolge dem Webauftritt die Identität des Betreibers nicht entnommen werden konnte. Auch hier hätten weitere zumutbare Maßnahmen zur Aufdeckung der Identität des Betreibers der Internetseiten unternommen werden müssen. Als Beispiele nennt der BGH die Beauftragung einer Detektei, eines Unternehmens, das Ermittlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Angeboten im Internet durchführt oder die Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden.

In der Pressemittelung zum Urteil wird ausgeführt:

Ein Telekommunikationsunternehmen, das Dritten den Zugang zum Internet bereitstellt, kann von einem Rechteinhaber grundsätzlich als Störer darauf in Anspruch genommen werden, den Zugang zu Internetseiten zu unterbinden, auf denen urheberrechtlich geschützte Werke rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden. Als Störer haftet bei der Verletzung absoluter Rechte (etwa des Urheberrechts oder eines Leistungsschutzrechts) auf Unterlassung, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt, sofern er zumutbare Prüfungspflichten verletzt hat. Das deutsche Recht ist vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft** richtlinienkonform auszulegen und muss deshalb eine Möglichkeit vorsehen, gegen Vermittler von Internetzugängen Sperranordnungen zu verhängen.

In der Vermittlung des Zugangs zu Internetseiten mit urheberrechtswidrigen Inhalten liegt ein adäquat-kausaler Tatbeitrag der Telekommunikationsunternehmen zu den Rechtsverletzungen der Betreiber der Internetseiten “3dl.am” und “goldesel.to”. In die im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmende Abwägung sind die betroffenen unionsrechtlichen und nationalen Grundrechte des Eigentumsschutzes der Urheberrechtsinhaber, der Berufsfreiheit der Telekommunikationsunternehmen sowie der Informationsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung der Internetnutzer einzubeziehen. Eine Sperrung ist nicht nur dann zumutbar, wenn ausschließlich rechtsverletzende Inhalte auf der Internetseite bereitgehalten werden, sondern bereits dann, wenn nach dem Gesamtverhältnis rechtmäßige gegenüber rechtswidrigen Inhalten nicht ins Gewicht fallen. Die aufgrund der technischen Struktur des Internet bestehenden Umgehungsmöglichkeiten stehen der Zumutbarkeit einer Sperranordnung nicht entgegen, sofern die Sperren den Zugriff auf rechtsverletzende Inhalte verhindern oder zumindest erschweren.

Eine Störerhaftung des Unternehmens, das den Zugang zum Internet vermittelt, kommt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit allerdings nur in Betracht, wenn der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die – wie der Betreiber der Internetseite – die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder – wie der Host-Provider – zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben. Nur wenn die Inanspruchnahme dieser Beteiligten scheitert oder ihr jede Erfolgsaussicht fehlt und deshalb andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde, ist die Inanspruchnahme des Access-Providers als Störer zumutbar. Betreiber und Host-Provider sind wesentlich näher an der Rechtsverletzung als derjenige, der nur allgemein den Zugang zum Internet vermittelt. Bei der Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten hat der Rechtsinhaber in zumutbarem Umfang – etwa durch Beauftragung einer Detektei, eines Unternehmens, das Ermittlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Angeboten im Internet durchführt, oder Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden – Nachforschungen vorzunehmen. An dieser Voraussetzung fehlt es in beiden heute entschiedenen Fällen.