201513.06.

Kritik am Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung

Update (15.06.2015): Ende letzter Woche hat das belgische Verfassungsgericht die nationale Regelung zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt (Urteil im Volltext in deutscher Sprache; siehe dazu auch netzpolitik.org).

Eine entsprechende Entscheidung zur deutschen Regelung ist auch vom Bundesverfassungsgericht zu erhoffen.


Relativ kurz nach dem Amoklauf von Paris und den ersten Forderungen nach einer Vorratsdatenspeicherung („VSD“) in Deutschland habe ich dargelegt warum eine anlasslose VSD unverhältnismäßig und verfassungswidrig ist.

Inzwischen hat das Justizministerium einen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung („VSD“) vorgelegt, den das Kabinett am 27. Mai 2015 beschlossen hat. Die Regelungen sind insbesondere in den neuen § 100g Strafprozessordnung, §§ 113a – 113g Telekommunikationsgesetz und § 202d Strafgesetzbuch verankert.

Der Gesetzentwurf weist m.E. erhebliche Mängel auf und wird einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Am gravierendsten ist, dass der im Gesetz vorgesehene Richtervorbehalt ausgehöhlt wird. Zwar soll über den direkten Abruf von Vorratsdaten grundsätzlich immer ein Gericht entscheiden. Durch eine Nebenabrede zur Bestandsdatenauskunft wurde jedoch geregelt, dass eine Auskunft über die Bestandsdaten auch anhand der nach § […] TKG-E gespeicherten Daten verlangt werden kann. Möchte die Polizei also wissen, welcher Anschlussinhaber zu einem bestimmten Zeitpunkt eine IP-Adresse genutzt hat, muss der Telekommunikationsanbieter unter Rückgriff auf Vorratsdaten Auskunft erteilen. Die Vorratsdaten werden also ohne Richtervorbehalt genutzt. Eine solche Abfrage durch die Polizei ist dabei auch bei geringfügigen Tatvorwürfen wie bspw. einer Beleidigung im Internet möglich, was erneut die Unverhältnismäßigkeit des Gesetzentwurfs zeigt.

Die Erhebung von Vorratsdaten von Geheimnisträgern wie Ärzten, Journalisten, Rechtsanwälten oder Seelsorgern wird ironischerweise in § 100g Abs. 4 StPO für unzulässig erklärt. Die Regelung sieht ein Beweisverwertungsverbot und eine Löschpflicht vor, wobei die Löschung aktenkundig! zu machen ist. Technisch werden natürlich dennoch sämtliche Daten erhoben. Insofern besteht die Gefahr, dass die technische Umsetzung der Löschpflicht in der Praxis eine erhebliche Herausforderungen und Belastung für die Telekommunikationsunternehmen darstellen wird. Schließlich eröffnet der Gesetzentwurf unglücklicherweise mit der Erhebung und Speicherung dieser sehr sensiblen Daten auch ein nicht unerhebliches Missbrauchsrisiko.

Im Ergebnis erscheint auch die Verpflichtungen für Telekommunikationsunternehmen zu umfangreichen technischen und organisatorischen Maßnahmen unverhältnismäßig. Als Beispiel sei die Verpflichtung zur Vorhaltung eines getrennten Datenpools für die Vorratsdaten genannt. Die deutsche Internetwirtschaft schätzt die Kosten auf ca. 600 Millionen Euro.

Schließlich führt der Gesetzentwurf mit § 202d StGB den neuen Straftatbestand der Datenhehlerei ein:

Wer Daten die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. […]

Nach der der Gesetzesbegründung soll nahezu jede beliebige Vortat ausreichen. Verwendet man „Daten“ synonym mit „Informationen“, führt dies zu einem erweiterten Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Whistleblower-Schutz, der wünschenswert wäre, sieht anders aus. Im Grunde stellt der Normentwurf genau das Gegensteil dar. Betreiber von Enthüllungsplattformen könnten nach Inkraftreten des Gestzes, anderes als derzeit, strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie vertrauliche Dokumente aus Deutschland veröffentlichen.

Ausdrücklich ausgenommen von der Regelung ist interessanterweise die Datenhehlerei von Amtsträgern, sofern die so erlangten Daten in einem Besteuerungsverfahren, einem Strafverfahren oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren verwendet werden sollen. Die Steuer-CD lässt grüßen… wobei sich der private Verkäufer solcher CD’s wohl der Datenhehlerei nach § 202d StGB strafbar machen würde.