201629.08.

BVerfG: Verletzung der Meinungsfreiheit durch unzutreffende Einordnung als Schmähkritik

In seinem Beschluss vom 29.06.2016 (1 BvR 2646/15) hat sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit Fragen zu Meinungsfreiheit und Schmähkritik beschäftigt.

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und vertrat als Strafverteidiger den ersten Vorsitzenden eines gemeinnützigen Vereins, gegen den die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung von Spendengeldern eingeleitet hatte.

Im Rahmen einer nicht öffentlichen Sitzung, an der neben dem Beschwerdeführer die mit dem Verfahren betraute Staatsanwältin teilnahm, erließ das Amtsgericht einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten. Daraufhin kam es zwischen dem Beschwerdeführer und der Staatsanwältin zu einer verbalen Auseinandersetzung, da der Beschwerdeführer der Ansicht war, sein Mandant werde zu Unrecht verfolgt. Er verließ die Sitzung noch vor ihrer offiziellen Schließung.

Am Abend desselben Tages erhielt der Beschwerdeführer einen Telefonanruf eines Journalisten, der an einer Reportage über das Ermittlungsverfahren arbeitete. Nachdem er zunächst nicht mit dem Journalisten sprechen wollte, äußerte sich der noch immer wütende Beschwerdeführer schließlich doch zu dem Verfahren und bezeichnete die zuständige Staatsanwältin dabei als

„dahergelaufene“, „durchgeknallte“, „widerwärtige, boshafte, dümmliche“ und „geisteskranke Staatsanwältin“.

Für diese Äußerungen verurteilte das Landgericht den Beschwerdeführer schließlich wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120 Euro. Die Revision war erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer vornehmlich die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsbeschwerde statt und verwies die angegriffenen Entscheidungen an das Landgericht zurück. Es führte aus, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG verletzen, denn sie würden die Äußerungen des Anwalts zu Unrecht als Schmähkritik werten und unterließen dadurch die gebotene Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht.

Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen die hier von den Gerichten angewandten Strafvorschriften der Beleidigung gehören. In diesem Fall stehen sich Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht gegenüber, die im Rahmen einer Abwägung von den Fachgerichten zu werten und zu gewichten sind.

Zu beachten sei dabei, so das Bundesverfassungsgericht, dass die Meinungsfreiheit nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf.

„Eine Grenze des Zulässigen bilden jedoch herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, da die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird.“

Wegen dieser einschneidenden Folge sei Schmähkritik jedoch ein Sonderfall der Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahmekonstellationen gegeben und daher eng zu verstehen sei. In seinem Urteil sei das Landgericht ohne hinreichende Begründung vom Vorliegen des Sonderfalls einer Schmähkritik ausgegangen.

Aufgrund des eng auszulegenden Begriffs der Schmähkritik mache auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nehme diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe.

Im vorliegenden Fall seien die Äußerungen zwar ausfallend scharf gewesen und beeinträchtigten die Ehre der Betroffenen. Die angegriffenen Entscheidungen legten jedoch nicht in der erforderlichen Weise dar, dass hier die Grenze zur Schmähkritik überschritten wurde. Diese unzutreffende Einstufung als Schmähkritik und die dadurch unterlassene Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht stelle einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Fehler dar. Daher hat das Landgericht nunmehr erneut über die strafrechtliche Beurteilung der Äußerungen zu entscheiden und dabei die gebotene Abwägung vorzunehmen.

Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgehalten, dass ein Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen der Staatsanwaltschaft gegenüber der Presse die jeweilige Person mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit müsse sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen durchsetzen. Wie diese Abwägung im Einzelfall ausfalle und wie sich diese auf die Strafzumessung auswirke obliege jedoch den Fachgerichten.

RA Sebastian Schwiering
Rechtsreferendarin Anna Schwingenheuer