201626.10.

BGH zur Beweislastumkehrregelung im Verbrauchsgüterkaufrecht

Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 12. Oktober 2016 (Az. VIII ZR 55/15) mit der Reichweite der Beweislastumkehrregelung des § 476 BGB beim Verbrauchsgüterkauf beschäftigt.

§ 476 BGB bezieht sich auf die Gewährleistungsrechte, die einem Verbraucher gegen einen Unternehmer im Rahmen der Abwicklung eines Kaufvertrages zustehen. Dort ist geregelt:

Zeigt sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel, so wird vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar.

Bei vorliegen eines Mangels stehen dem Käufer gegen den Verkäufer Gewährleistungsrechte zu. Voraussetzung ist jedoch, dass der Mangel bereits bei Gefahrübergang, also regelmäßig bei Übergabe der Sache an den Käufer vorlag (§ 434 Absatz 1 BGB). Diesen Umstand hat der Käufer zu beweisen, was im Einzelfall schwierig sein kann. Zugunsten von Verbrauchern enthält § 476 BGB daher einer Beweislastumkehr. Zeigt sich innerhalb der ersten sechs Monate nach Gefahrübergang ein Mangel, so wird zugunsten der Verbraucher vermutet, dass der Mangel bereits bei Gefahrübergang vorlag. Es liegt dann an dem Unternehmer zu beweisen, dass zu diesem Zeitpunkt kein Mangel vorlag, was regelmäßig nicht gelingt.

In dem von dem BGH zu entscheidenden Fall hatte der Kläger von der Beklagten, einer Kraftfahrzeughändlerin, einen gebrauchten PKW zum Preis von 16.200 € gekauft. Nach knapp fünf Monaten und einer vom Kläger absolvierten Laufleistung von rund 13.000 Kilometern schaltete die im Fahrzeug eingebaute Automatikschaltung in der Einstellung “D” nicht mehr selbständig in den Leerlauf; stattdessen starb der Motor ab. Ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigungen war nicht mehr möglich. Nach erfolgloser Fristsetzung zur Mangelbeseitigung trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises und den Ersatz geltend gemachter Schäden.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Landgericht und Oberlandesgericht entschieden, dass sich der Kläger nicht auf die Beweislastumkehr des § 476 BGB berufen könne. Denn in dem zu entscheidenden Fall war unklar, ob der Fehler des PKW schon bei Übergabe des Fahrzeugs vorgelegen habe, oder auf einen Bedienungsfehler des Klägers zurückzuführen sei. § 476 BGB begründe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich eine in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung dahin, dass ein innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang aufgetretener Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen habe. Sie gelte dagegen nicht für die Frage, ob überhaupt ein Mangel vorliege. Wenn daher bereits nicht aufklärbar sei, dass der aufgetretene Fehler auf eine vertragswidrige Beschaffenheit des Kaufgegenstands zurückzuführen sei, gehe dies zu Lasten des Käufers.

Mit seinem Urteil hat der BGH nun die bisher zu § 476 BGB bestehenden Grundsätze zugunsten des Verbrauchers angepasst. Dies war erforderlich, da zwischenzeitlich ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juni 2015 (C-497/13 – Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV) erging, welches die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (Richtlinie 1999/44/EG) betraf. Dieser Artikel wird durch § 476 BGB in deutsches Recht umgesetzt, sodass die Rechtsprechung des Gerichtshofs hierauf zu übertragen war.

Nach der Entscheidung des Gerichtshofs ist der Anwendungsbereich der Beweislastumkehrregelung zugunsten des Verbrauchers in zweifacher Hinsicht zu erweitern:

Zum einen betrifft dies die Darlegungs- und Beweislast des Käufers hinsichtlich des Auftretens eines Sachmangels innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang. Der Käufer hat lediglich darzulegen und nachzuweisen, dass die erworbene Sache nicht den Qualitäts-, Leistungs- und Eignungsstandards einer Sache entspricht, die er nach dem Vertrag vernünftigerweise erwarten konnte. Er muss weder den Grund für die Vertragswidrigkeit nachweisen, noch den Umstand, dass sie dem Verkäufer zuzurechnen ist. Es reicht vielmehr der Nachweis einer „Mangelerscheinung“, die die Haftung des Verkäufers begründen würde.

Zum anderen ist im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB die Reichweite der dort geregelten Vermutung um eine sachliche Komponente zu erweitern. Danach kommt dem Verbraucher die Vermutungswirkung des § 476 BGB fortan auch dahin zugute, dass der binnen sechs Monate nach Gefahrübergang zu Tage getretene Mangel zumindest *im Ansatz* schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Damit muss der Käufer nicht mehr nachweisen, dass ein erwiesenermaßen erst nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangel seine Ursache in einem latenten Mangel hat.

Durch diese Rechtsprechung verschiebt sich die Beweislast zugunsten des Verbrauchers in Richtung des Unternehmers. Dieser hat darzulegen und nachzuweisen, dass ein Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war, weil er seinen Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt hat und ihm damit nicht zuzurechnen ist. Gelingt ihm dieser Beweis des „Gegenteils der Vermutung“ nicht hinreichend, so greift zu Gunsten des Käufers die Vermutung des § 476 BGB auch dann ein, wenn die Ursache für den Mangel oder der Zeitpunkt ihres Auftretens offengeblieben ist, also letztlich ungeklärt geblieben ist, ob überhaupt ein vom Verkäufer zu verantwortender Sachmangel vorlag.

Dem Verkäufer bleibt die Möglichkeit sich darauf zu berufen und nachzuweisen, dass das Eingreifen der Beweislastumkehr ausnahmsweise bereits deswegen ausgeschlossen sei, weil die Vermutung, dass bereits bei Gefahrübergang im Ansatz ein Mangel vorlag, mit der Art der Sache oder eines derartigen Mangels unvereinbar sei (§ 476 BGB am Ende).

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

RA Sebastian Schwiering
Rechtsreferendarin Anna Schwingenheuer